Genau zwanzig Jahre nachdem
Hans Dieter Stöver mit seinem Band
"Die Prätorianer. Kaisermacher - Kaisermörder" (Langen Müller, 1994) die letzte Überblicksdarstellung zur wohl interessantesten Einheit des römischen Militärs ablieferte, schickt sich nun der
Spirituosenverkäufer (und
angeblich ehemalige Offizier der Bundeswehr) Ritchie Pogorzelski mit seinem Band
"Die Prätorianer. Folterknechte oder Elitetruppe?" (Nünnerich-Asmus, 2014) an, unser Wissen zu aktualisieren. Allerdings weißt schon ein erster flüchtiger Vergleich darauf hin, dass Pogorzelski dabei nicht direkt in die Fußstapfen seines Vorgängers treten will (von dem er sich bereits mit einem Zitat im ersten Satz seiner Einleitung distanziert), sondern einen ganz anderen Ansatz verfolgt, der die Prätorianer-Garde in ein positiveres Licht rücken will. Auf deutlich weniger Seiten und mit unzähligen Abbildungen aus der Reenactment-Szene angereichert, versucht sich "Folterknechte oder Elitetruppe?" an einer deutlich strukturierteren Darstellung als es noch bei Stöver der Fall war. Wo letzterer allein eine chronologische Geschichte der Garde unter einer handvoll ausgewählter Kaiser von Caligula bis Konstantin erzählt, beginnt Pogorzelski mit einer von der Historiographie weitgehend losgelösten Vorstellung der Truppe (im 1. Jh.), bevor er dann - beginnend bei Augustus und endend bei Constantin - jeden einzelnen Kaiser aus vier Jahrhunderten mit seiner Verbindung zu den Prätorianern in den Blick nimmt.
Genaueres zum Inhalt - Nützliches und Problematisches
Positiv hervorzuheben ist direkt zu Beginn, dass der Autor begrifflich klar zwischen einer Leib
garde und einer Leib
wache unterscheidet, was für Laien vor allem in Bezug auf das Verständnis der Rollenverteilung zwischen germanischen Leibwächtern und den Prätorianern hilfreich sein dürfte. Denn von einem Laien und für Laien ist das Buch geschrieben, was sich schon auf den ersten Seiten an den im Text durchgehend fehlenden Literaturangaben und -verweisen feststellen lässt. So werden etwa Cassius Dio, Seneca und Tacitus mehrfach als Quellen genannt, eine Angabe der Fundstellen liefert der Autor jedoch nicht bzw. nur bei direkten Zitaten, die zunächst mehr als "optischer Schmuck" eingefügt sind. Nachdem der Leser auf diese Art der oberflächlichen Erzählung drei Seiten lang mit einer Kurzvorstellung der Prätorianer berieselt wurde - die wohl einen Kontext zum organisatorischen ersten Teil des Buches liefern soll, dabei aber keinen roten Faden aufweist, sondern sich wie eine lose Aneinanderreihung interessanter Fakten liest - steigt Pogorzelski endlich in die eigentliche Darstellung der Prätorianergarde ein.
Auf gut 15 Seiten beleuchtet der Autor kurz und knapp all die Fakten, die für interessierte Laien (seien es Reenactor, Rollenspieler oder Militaria-Fans) bedeutsam sind oder sein könnten: Nach einer kurzen Übersicht über die Aufgaben der Truppe (darunter Bewachung des Kaisers, Polizeidienste, Bekämpfung von Aufständen, Durchführung von Exekutionen und Folter, Bespitzelung, Eintreiben von Steuern) nehmen schließlich struktureller Aufbau und Ausrüstung den größten Teil dieses Kapitels ein. Kommen wir zuerst zur
Organisation: Der Leser lernt hier schnell, dass jeder, der es zur Garde geschafft hatte, ein Glückspilz war. So war die Dienstzeit um etwa ein Viertel kürzer und der Sold etwa anderthalbmal höher als in den gewöhnlichen Legionen. Um den Elite-Charakter der Truppe hervorzuheben,
berechnet schätzt Pogorzelski auch, wie viele Prätorianer es mutmaßlich im aktiven Dienst gegeben habe - und kommt auf eine Zahl irgendwo zwischen 4.000 und 11.000. Hierneben stellt er "Spezialeinheiten" vor, die der Elitetruppe zusätzlich zur Verfügung bzw. zur Seite standen (speculatores, evocati, statores, u.a.). Allerdings scheint er hier zu fokussiert auf die Prätorianer, um eigentlich eigenständigen Einheiten wie den
vigiles den notwendigen Respekt zukommen zu lassen. Bei Pogorzelski reicht so ein einzelnes Zitat aus, um die
vigiles in eine dauerhafte Verbindung zur Garde zu setzen - und für viele andere Behauptungen fehlen weiterhin auch nur die spärlichsten Belege. Teilweise widerspricht sich der Autor auch selbst (vgl. statores, S. 16 und S. 34). Es kann so schnell der Eindruck entstehen, dass aus Begeisterung für ein Thema die wissenschaftliche Gründlichkeit gelitten habe. Hierzu tragen auch Pseudo-Belege bei, die auf Reenactment-Fotos verweisen, anstatt Cassius Dio direkt anzugeben (vgl. S. 16). Besonders genau nimmt es Pogorzelski hingegen mit der Rangstruktur innerhalb der
cohors: Jeder noch so kleine Posten wird behandelt - und sei es nur in einem Satz. Über die Rolle des Präfekten lässt sich der Autor dann sogar sehr ausgiebig aus - und es muss die Frage erlaubt sein, ob dieser Umstand damit zu tun hat, dass er selbst diese Rolle in seinem Reenactment-Verein, der
Cohors Praetoria aus Köln, innehat.
Bei der
Ausrüstung geht dann endgültig des Autors Detailliebe zur historischen Darstellung mit ihm durch und der wissenschaftliche Anspruch bleibt auf der Strecke - sofern denn überhaupt einer existierte. Allein die Schlüsse, die Pogorzelski auf S. 18 aus einer einfachen Bestellung von roten Tuniken zieht, sind extrem weit hergeholt für die Belegsituation und kritisch zu betrachten. Über des Autors eher kursorische Arbeitsweise können auch nicht die immer wieder auftauchenden Formeln der Zurückhaltung hinwegtäuschen, die hier mehr wie Pflichtbeiträge wirken. So ist denn auch die Darstellung der fünf verschiedenen Uniformtypen der Prätorianer (Friedens- und Festgewand, Parade-, Alltags-, Schlachtuniform) mit Vorsicht zu genießen. Am deutlichsten wird das vielleicht an der Darstellung des Festgewandes, die eigentlich bloß aus einem langen Zitat aus Herodians "Geschichte des römischen Kaisertums" besteht, der dann ein lapidarer Satz des Autors zugefügt wird: "Dies bedeutet, dass [die Prätorianer] nur mit Tunika und Gürtel bekleidet waren." (Pogorzelski, S. 20) Hier fragt sich der Leser, wie das Argument für diese Erklärung wohl aussehen mag, denn vom Zitat vorher wird die Behauptung des Autors nicht unterstützt. Auch bei den anderen Bekleidungsvarianten sowie bei der Besprechung von Abzeichen, Feldzeichen, etc. halten sich die verwertbaren Erkenntnisse in engen Grenzen. Sehr oft muss Unwissenheit oder die spärliche Belegsituation erklärt werden. Wie auch schon oben erwähnt, wird in einzelne Belege zudem teilweise deutlich zuviel hinein interpretiert. Dies gilt auch für die äußerst spärliche Diskussion der prätorianischen Ausbildung, die sich auf die Formel: "die Besten werden auserwählt und hart rangenommen" reduzieren lässt. Was genau neben einer Mindestkörpergröße für den Dienst in der Garde qualifizierte, wie die Leistungsstandards aussahen, wie die Trainigsmethoden und Übungen - das bleibt allerdings völlig im Dunkeln, genauso wie die vielen interessanten Details zu Bewaffnung u.ä. die die Archäologie in den letzten Jahren zusammentragen konnte.
Der zweite Teil des Buches walzt dann auf gut 100 Seiten streng chronologisch die Beziehung der jeweils herrschenden Kaiser zu ihren Prätorianerpräfekten und die von diesen durchgeführten wichtigsten Maßnahmen aus - jedenfalls ist das der Anspruch. In Wirklichkeit stehen dem Autor zum einen die extrem schlechte Quellenlage und sein eigener Erzählstil im Weg, der immer wieder in der Geschichte vorgreift bzw. hin- und herspringen muss. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass wir (a) deutlich mehr Informationen über das Innenleben des Reiches aus dem ersten Jahrhundert haben als aus dem vierten und dass (b) Personen nicht einfach zu Beginn ihrer Amtszeit aus dem Nichts auftauchen und wieder einfach so verschwinden, wenn sie ihren Posten abgegeben haben. Hinzu kommt, dass Pogorzelski seinen Text schlecht sortiert und teilweise Absätze mit unterschiedlichen Foki komplett zusammenhanglos aufeinander folgen lässt. Beim Auffinden der größeren Einschübe zum
castrum praetorium, der germanischen Leibwache und einiger genauer untersuchter Reliefs hilft immerhin das Inhaltsverzeichnis, ansonsten würde man diese Informationen eher im organisatorischen Teil vermuten und nicht in der völlig biographisch orientierten Chronologie, die jeden noch so kleinen Karriereschritt und Verwandtschaftsgrad zu benennen versucht, ohne eine zusammenhängende Darstellung zu erreichen. Entsprechend zäh liest sich der zweite Teil dann auch. Doch dies wäre ggf. alles noch zu verkraften, wenn sich neben den Banalitäten nicht auch eine Reihe unkritischer, ja naiver Übernahmen und Lesarten der Quellen finden würden, die Pogorzelski weiterhin nur sehr ungenau angibt. Immerhin verzichtet der Autor im zweiten Teil komplett auf Fotographien aus dem Reenactment, was deutlich seriöser wirkt. Eine weitere Reduktion dieses Kapitels auf die wirklich wichtigen Schlaglichter der prätorianischen Geschichte in Zusammenhang mit einer konsistenten Argumentation oder Stoßrichtung der Informationen hätte hier deutlich mehr erreicht. Leider fehlt vor allem eine Argumentation völlig, was insbesondere für den Schluss des Buches problematisch wird.
Pogorzelskis Angriff auf das "überkommende Bild" von den Prätorianern
Wie schon in der Einleitung angekündigt, ist es Pogorzelskis Anliegen, die Prätorianergarde, anders als Stöver, in ein deutlich positiveres Licht zu rücken. Der Autor möchte den Vorwürfen der Vergangenheit und dem schlechten Licht, in das diktatorische Garden seiner Meinung nach durch Hollywood und das 20. Jh. gerückt wurden, den Nimbus einer edlen Elitetruppe entgegenstellen und den Rufmord, den er hinsichtlich dieser Einheit vermutet, relativieren oder gar beenden. Hieraus folgt auch seine Fragestellung "Folterknechte oder Elitetruppe?", die aber schon vor dem Beginn der Untersuchung darunter leidet, dass nichts dagegen spricht, einer Truppe beide Eigenschaften gleichzeitig zuzuschreiben. Um einen Vergleich zu Bemühen, den Pogorzelski sicher nicht hören will: Auch die SS war eine sogenannte "Eliteinheit". Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht im gleichen Atemzug als menschenverachtende Gruppierung beschrieben werden kann, die nicht nur eine Diktatur maßgeblich stütze, sondern darüber hinaus auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit in erheblichem Umfang beging. Was hindert uns also heute daran, die SS als Eliteeinheit zu verherrlichen und gegen Angriffe zu verteidigen, sie habe Verbrechen begangen? Die Antwort: ein moralischer Maßstab, der uns die Orientierung dafür gibt, richtige Handlungen von falschen zu unterscheiden. Dieser Maßstab besteht aus Werten, die unsere Gesellschaft, ja die Menschheit ausmachen. Eine Untersuchung, die uns die Prätorianer zumindest als moralisch ambivalent zeigen will, müsste dies anhand solcher Werte tun. Doch Pogorzelski vernachlässigt bereits bei seiner Themenstellung das explizite Aufstellen oder Nennen von Werten, nach denen die Prätorianer eine positive Betrachtung verdient hätten. Er vernachlässigt darüber hinaus, die implizit auftretenden Wertezuschreibungen in seinem Text hinsichtlich ihrer historischen Relativität zu verorten. Er verwechselt durchgehend militärische Ausbildung und Tugenden mit moralisch korrektem Verhalten. Nur an einer einzigen Stelle kann er - nachdem er zuvor zahlreiche Grausamkeiten und Fehlverhalten der Garde beschrieben hat - einen Beleg dafür anbringen, dass die Prätorianer sich auch mal dem Befehl ihres Imperators aus moralischen Gründen widersetzt haben (S. 13). Darüber hinaus versucht er durch schlichtes Nachzählen zu relativieren: Immerhin seien in drei Jahrhunderten nur neun Kaiser durch die Prätorianer ums Leben gekommen - und dies sei, so Pogorzelski, fast immer aus Dienst am Volk geschehen. Dass die von den Prätorianern durchgeführten polizeilichen Maßnahmen immerzu nur aus der Verbreitung von Furcht und Schrecken bzw. der direkten Tötung teilweise reihenweiser Unschuldiger bestand (S. 12) - vernachlässigbar. Dass die Präfekten sich in ihrer aus Exekutive und Judikative zusammengesetzten Macht suhlen konnten (S. 34) - keiner Kritik würdig. Dass sie sich opportun jedem anboten, der genug Geld auf den Tisch legte - undeutend in des Autors Augen oder das Werk von Einzeltätern. Die Truppe selbst sei vorbildlich gewesen, so will es Pogorzelski hören. Dumm nur, dass Historiker bei innenpolitisch eingesetzten Militärs, die dazu stellenweise noch als geheime Staatspolizei agieren, inzwischen sensibel genug sind, um nicht auf einseitige Darstellungen hereinzufallen. Zumal bei der Größe der Truppe spätestens seit Vitellius unmöglich noch von den "Besten" geredet werden kann. Es wurde genommen, wer politisch auf der richtigen Seite stand und gerade verfügbar war.
Fazit
Aus professioneller Perspektive ist diese längere Facharbeit auf Oberstufenniveau größtenteils zu vernachlässigen oder zumindest kritisch zu hinterfragen. Es sollte jedem Leser bewusst sein, dass der Autor (a) kein Fachmann ist und (b) eine Agenda verfolgt, die er am Ende seiner Buches trotz gegenteiliger Fakten als gelungen darstellt. Inhaltlich und vom Umfang her bleibt Pogorzelskis Darstellung der Prätorianer jedenfalls weit hinter dem zurück, was wissenschaftliche Texte zum Thema zu sagen haben. Insbesondere irritert die äußerst spärliche Quellen- und Literaturgrundlage. Hier wurde extrem selektiert, teilweise auf fragwürdige Ausgaben zurückgegriffen und es fehlt mindestens ein entscheidendes Werk zu den aktuellsten militär-archäologischen Erkenntnissen, nämlich
Fischer (Hrsg.): Die Armee der Caesaren (Verlag Friedrich Pustet 2012). Insbesondere Details zur Ausstattung, zu Bewaffnung, Organisation, Ausbildung und Unterkunft römischer Militärs liegen dort in deutlich größerer Fülle vor. Es ist völlig unverständlich, warum dieses Werk nicht berücksichtigt wurde.
Hierneben fallen dann auch noch eine ganze Reihe sprachlicher und fremdsprachlicher Fehler auf, die nochmal deutlich machen, dass der Autor kein Berufsschreiber ist und zudem nur eine begrenzte Kenntnis der lateinischen sowie gar keine der griechischen Sprache besitzt. Wie sonst sind fehlende Übersetzungen griechischer Inschriften, fehlerhafte lateinische Deklinationen (evocatus), falsche Verwendung distinktiver Adjektive (konsularisch, prätorisch) oder die falsche Zuschreibung von Wortgeschlechtern (das/der Relief) zu erklären? Auch die Übertragung moderner politischer Begriffe in die Antike (Minister) zeugt von mangelnder sprachlicher Zurückhaltung. Bei dem nahezu exorbitanten Preis des Büchleins sollte der Leser eigentlich mit einem besseren Lektorat rechnen können. Schließlich kann sich Pogorzelski trotz seines klaren Laienstatus nicht so recht entscheiden, an wen er sich mit seinen Worten eigentlich richtet. Mal setzt er umfassende historische Kenntnisse oder lateinisches Fachvokabluar voraus, mal erklärt und übersetzt er selbst banale Wörter.
Die größten Bauchschmerzen bei diesem Buch bereitet aber die Nähe des Autors zur Reenactment-Szene. Dabei ist sicher nIchts gegen Reenactment als solches einzuwenden - aber die Motivlage bei der Verwendung ist entscheidend! Rekonstruktive Archäologie und erfahrbare Geschichte sind sicher wichtig und erstrebenswert. Doch ist Distanz zum Gegenstand wissenschaftlich geboten. Pogorzelkis "Die Prätorianer" macht den Eindruck, als sei es kein Forschungsbeitrag, sondern eine Rechtfertigung und Präsentation des eigenen Hobbys. Immerhin sind Teile des Textes eins zu eins auf der Internetseite der
Cohors Praetoria nachzulesen. Wenn dem aber so ist, so sollte der Titel des Werkes möglichst direkt darauf verweisen. Warum nicht ein Untertitel der Sorte "Eine Übersicht für Reenactor"? Dann hätte man sich auch die moralisch aufgeladene Frage sparen oder sie zumindest richtig einordnen können. Stattdessen wird der Eindruck eines seriösen, wissenschaftlichen Werkes vermittelt. Dies ist das Buch aber eben nicht. Ein nahezu argumentfreier Abitur-Aufsatz, eine bloße Sammlung von Fakten aus einem bestimmten einseitigen Interesse heraus ist keine gewinnbringende wissenschaftliche Arbeit. Dies aber impliziert die im Untertitel formulierte Fragestellung, die eben im Buch trotz aller dargebotenen Wissensfragmente nicht geklärt wird. Unredlich auch, dass der Autor und seine wissenschaftliche Qualifikation im Buch nicht genau vorgestellt werden. Ein Foto fehlt ebenso - obwohl, dann würde man ja auch zu schnell erkennen, dass auf nahezu allen Reenactment-Fotos der Autor selbst abgebildet ist.